Freitag, 18. Juli 2014 – Stavoren
Wetterprognose des KNMI (Königlich-Niederländisches Meteorologisches Institut) vom 18.07.2014, 03:58 UTC (Universal Time Coordinated) = 05:58 Ortszeit
- 0800 bis 2000: Wind 2 bis 3 Windstärken, aus Südost (Southeast), 32°C
- 2000 bis 0800: Wind 3 bis 4 Windstärken, aus Südost (Southeast), 22°C
0600 – Wind, 2 Windstärken aus Ost (East), Lufttemperatur jetzt schon 23°C, Himmel blau und wolkenlos. Langsam gehe ich über den Steg zur Dusche. An Bord herrscht bereits emsiges Treiben. Die Taschen werden gepackt, Frühstück wird gemacht und nebenbei immer wieder ein Blick ins Lehrbuch geworfen. Kurz, es ist Prüfungsmorgen. Ich habe mich dem bewusst entzogen. In aller Ruhe dusche ich, bevor ich zum Essen an Bord zurückkehre. Auf dem Rückweg grinse ich Franz an und winke Chris zu, der noch ein wenig verschlafen unterwegs zur Dusche ist.
0830 – Ich starte den Motor und fahre die „Fuchur“ hinüber zum Steg „A“, lege meinen „Drachen“ hinter der „Hürriyet“ an und versuche nun ganz cool und entspannt zu wirken. Innerlich bin ich nervös und hoffe, dass heute alles klar geht, dass niemand in der Aufregung ein falsches Kommando gibt, sich nicht am Rad verdreht und sich auch nicht um Kopf und Kragen redet. Der Klönschnack mit Chris, Martin und Franz lockert mich wieder auf. Martina habe ich nur eine kurze SMS geschickt. Jetzt reden, das wird nix.
1015 – Wir haben die Prüfer an Bord und laufen aus. Kurz gesagt, es haben alle vier bestanden. Die Prüfer haben durchaus auch ein paar mehr Hühneraugen zugedrückt. Ich kann nicht sagen, ob ich alle Pannen „übersehen“ hätte. Dennoch kann ich meinen Schützlingen mit einem lachenden und weinenden Auge zur bestandenen Prüfung gratulieren. Ich freue mich ehrlich für sie. Und ich bin sicher, dass keiner von ihnen leichtsinnig sein wird.
1140 – Wir legen an der Tankstelle an, bunkern den verbrauchten Diesel, dann fahre ich den kleinen Drachen in seine Box. Mir wird das Herz schwer, als meine drei Jungs mit Ute von Bord gehen. Doch der Abschied muss ja sein. Ich muss auch noch auf die „Hürriyet“ umziehen, Wäsche waschen und möchte auch ein paar freie Stunden haben. Martina schicke ich schnell eine SMS. Dann geht der Umzugsstress los.
Meilenkonto Fuchur-Reise: 180,2 sm, davon 95,9 sm gesegelt.
1300 – Während die erste Waschmaschine läuft, trage ich den Rest meiner Sachen auf die „Hürriyet“. Ansehen muss ich mir nicht mehr viel. Zum Glück habe ich gestern schon das Schiff kennen gelernt. Kurz vor 1400 kann ich meine Wäsche in den Trockner stecken und stelle auch gleich die zweite Waschmaschine an. Dann flitze ich zum Schiff und ziehe mich um.
1430 – Ich bin mit Franz in seinem Cabrio unterwegs zum Mittagessen und wir unterhalten uns über „Gott und die Welt“. Schweigen ist auch schön. Bei 30°C mag man auch irgendwie nicht viel machen. Auf dem Rückweg fahren wir noch beim „Coop“ ran. Ich benötige einige Drogerieartikel und mag auch eine Postkarte für meinen Schatz holen. Anschließend reservieren wir für den heutigen Abend Tische bei Kristina.
1630 – Wir sitzen auf der „PIM“ und planen die kommende Woche. Franz möchte sich hinsichtlich der Route nicht festlegen. Chris und ich wollen nach Vlieland. Also werden die „Lucky Spirit“ mit Chris und ich auf der „Hürriyet“ gemeinsam fahren. Treffpunkt mit Franz wird kommenden Mittwoch in Hindeloopen sein. Wir checken noch gemeinsam die Tidenverhältnisse und die Wetterprognosen für die kommenden Tage. Über dem östlichen Atlantik zieht gerade ein kräftiges Tief heran. Ab Sonntag oder Montag ist also deutlich mehr Wind zu erwarten.
1800 – Pünktlich begrüßt Chris unsere versammelten Crews. 16 neugierige Gesichter blicken uns an. Chris erklärt den allgemeinen Ablauf der kommenden Woche und stellt das Revier sowie Sailing Island vor. Danach teilen wir die Crews auf, ein Crewmitglied von mir fehlt. Als ich sie anrufe, stellt sich heraus, dass sie wohl doch storniert hat. Also sind wir auch in dieser Woche nur zu fünft an Bord. Heidemarie und Gisbert sind ein Paar. Die beiden werden also die Hochzeitssuite im Vorschiff beziehen. Christian darf sich über eine Einzelkabine freuen, die er achtern backbord bezieht. Ok ok, die Reisetaschen von Simone und mir ziehen bei ihm mit ein, während ich mir mit Simone die Steuerbordachterkabine teilen werde.
Kaum an Bord besprechen wir die Einkaufsliste und die erste Essensplanung. Ich lasse die vier so weit wie möglich selbst erarbeiten, was wir in der kommenden Woche benötigen werden. Nur wenige Anregungen muss ich einfließen lassen. Zwanzig Minuten später sind sie unterwegs zum Einkaufen. Simone bleibt mit an Bord und räumt schon ihre Sachen ein.
1940 – Unsere Einkäufer sind zurück. Erneut bauen wir eine Stafette auf und verstauen die Lebensmittel an Bord. Die Wasserflaschen bleiben in den Backskisten im Cockpit. Eine halbe Stunde sind wir beschäftigt, dann können wir zum Abendessen gehen. Während des Essens tauschen wir uns über unsere Erwartungen aus. Gisbert ist der einzige Prüfling an Bord. Heidemarie möchte lernen, ihren Mann im Notfall zu retten und alle weiteren Fertigkeiten, die sie benötigt, um mit ihm gemeinsam segeln zu können. Die beiden wollen bald ein eigenes Boot kaufen. Innerlich seufze ich, denn das ist die bei Paaren typische Konstellation. Christian ist aktiver Leistungssportler und hat bereits den SKS in der Tasche. Er möchte seine Kenntnisse vertiefen. Simone mag erst einmal herausfinden, ob segeln überhaupt etwas für sie ist.
Das weitere Gespräch kreist um Beruf, Familie, Allgemeines und wir haben noch lange viel Spaß. Im Kopf gelingt es mir langsam, meine „Drachencrew“ gegen die neue Crew der „Hürriyet“ auszutauschen.
Auf dem Heimweg habe ich jetzt endlich eine halbe Stunde Zeit, in Ruhe mit meinem Schatz daheim zu telefonieren. Um 2300 mache ich den letzten Logbucheintrag für heute. Wind ENE 2 (Ostnordost mit 2 Windstärken), Temperatur 18°C, Himmel b, Cc (blue Sky, Cirrocumulus – hohe Haufenwolken), Luftdruck 1013hPa, leicht fallend. Damit steht fest, dass sich das Tiefdruckgebiet langsam nähert.
Samstag, 19. Juli 2014 – Stavoren
Wetterprognose des KNMI (Königlich-Niederländisches Meteorologisches Institut) vom 19.07.2014, 03:30 UTC (Universal Time Coordinated) = 05:30 Ortszeit
- 0800 bis 2000: Wind im Ijsselmeer E 3-4, bei Texel E 3-4
- 2000 bis 0800: Wind bei Texel E 3-4, Böen bis 35kn (Windstärke 8), Gewitter, Hagelrisiko
- Tiden:
- Harlingen: Hochwasser: 0336 und 1550; Niedrigwasser: 1036 und 2306
- Den Oever: Hochwasser: 0224 und 1455; Niedrigwasser: 0846 und 2126
- Oudeschild: Hochwasser: 0147 und 1425; Niedrigwasser: 0806 und 2035
0600 – Die Nacht über war es sehr stickig und schwül unter Deck. Durchgeschwitzt werden wir wach. Mein Nachthemd hänge ich an die Reling zum Trocknen und Auslüften, meinen Schlafsack über den Großbaum, Simones gleich daneben. Dann gehe ich zur Dusche. Eine halbe Stunde später bin ich wieder an Bord. Ich setze das Kaffee- und Teewasser auf, decke gemeinsam mit Christian den Tisch und schneide Obst für das Müsli. Simone stößt zu uns.
Kurz nach 0700 sitzen wir alle mehr oder weniger wach am Tisch. Langsam lenke ich die Gespräche auf die ersten Einweisungsthemen. Wir reden über die Seekrankheit, das Wetter, Wassereinbruch und Feuer an Bord. Warum Ordnung und Sauberkeit lebenswichtig sein können und dass auch Brotkrumen, wenn sie in der Bilge landen und die Lenzpumpe verstopfen, lebensbedrohlich werden können.
0830 – Die Backschaft ist gemeinsam schnell erledigt. Nun sehen wir uns das Schiff unter und über Deck an, setzen die Segel zur Übung am Steg, lernen den Umgang mit den Winschen und allmählich vervollständigt sich so die Schiffs- und Sicherheitseinweisung.
1030 – Ich bitte Gisbert und Heidemarie sich so hinzustellen, dass sie beide das folgende Manöver beobachten können. Ich untersage ihnen, irgendwo einzugreifen. Es ist mir wichtig, dass sie nur zusehen. Dann starte ich die Maschine und lege den Vorwärtsgang ein. Sofort stemmt sich die „Hürriyet“ in die Achterleinen. Mit Christian löse ich die Vorleinen und räume sie auch gleich auf. Auf dem Rückweg nach achtern legen wir die Fender an Deck. „Nachher werden die noch komplett weggeräumt; jetzt fahren wir aber erst einmal raus“, ergänze ich dabei.
Nun lasse ich die Backbordachterleine „auf Slip“ nehmen und mache dies selbst mit der Steuerbordachterleine. Ich erhöhe die Drehzahl um 200 Umdrehungen und fiere langsam die Leine. Im selben Maß lasse ich Christian die Leine an Backbord fieren. Die „Hürriyet“ bewegt sich langsam und kontrolliert vorwärts. Ich greife um, führe die Leine nur noch mit der rechten Hand, meine linke liegt am Ruder. Als die Yacht zur Hälfte aus der Box ist, reduziere ich kurz die Drehzahl und lasse meine Achterleine los. Christian weise ich an, seine Leine einzuholen. Ich fahre eine behutsame Linkskurve und als ich in der Boxengasse geradeaus fahren kann, gebe ich Gas. Bewusst hole ich jetzt erst die Steuerbordachterleine ein. „Seht ihr, wie wir die Leine nachschleppen? Solange wir jetzt nicht stoppen oder rückwärts fahren, kann diese Leine nicht in die Schraube kommen.“ Mit diesen Worten hole ich schnell die Leine ein und werfe sie klatschend auf die Cockpitsitzbank. Langsam fahre ich aus dem Hafen.
Vor dem Hafen gehe ich auf Kurs 290°, das ist fast der direkte Kurs nach Den Oever und übergebe Simone das Ruder. „Versuche immer so zu fahren, dass der gelbe Strich vom Kompass auf die 290 zeigt“, weise ich sie an. Dann drehe ich mich zu den anderen um und rufe grinsend: „Aufräumen!“ Jetzt schnappe ich mir meine unordentliche Achterleine. Während ich diese aufschieße, beobachte ich, wie sich meine Crew an Bord bewegt und mit den Leinen und Fendern arbeitet. Ein Auge ist dabei regelmäßig bei Simone am Ruder und immer wieder folgt ein kurzer Rundumblick. Zehn Minuten später sind die Leinen aufgeschossen und in der Backskiste verstaut. Die Fender hängen an der achteren Reling.
Mein Blick geht am Mast hoch zum Verklicker; dieser zeigt nach Nordosten (NE). „Klar machen zum Segel setzen. Christian vor an den Mast, Gisbert an die Großschot“, lautet mein Kommando. Ich selbst nehme mir das Großfall. „Simone, der Pfeil an der Mastspitze zeigt bitte immer nach vorn“, erkläre ich ihr ihre Aufgabe am Ruder. Als alle auf Position sind, folgt das nächste Kommando. „Heiß auf Großsegel!“ Langsam steigt unser Großsegel am Mast empor. Wenige Minuten später stehen 40m² Segeltuch. Die Yacht neigt sich auf die Backbordseite. „Gut gemacht! Danke an alle. Simone, ein wenig nach links fahren.“ – „Gut so, jetzt diesen Kurs geradeaus.“ Dabei gehe ich nach achtern. Ich mache die Maschine aus. Wir segeln. Ein schöner Am-Wind-Kurs! „Jetzt holen wir noch den Turbo raus. Klarmachen zum Setzen der Genua“, ist mein nächstes Kommando. „Heidemarie, du gehst an die Backbordvorschot.“ Ich setze mich hinter sie an die Vorsegelreffleine. Nun lasse ich sie mit „Heiß auf Genua an Backbord!“ die Vorschot ziehen und winschen. Gleichzeitig gebe ich kontrolliert die Reffleine nach, bis auch die 42m² der Genua straff an Backbord stehen. Jetzt haben wir 82m² Segelfläche gesetzt. Am Heck gurgelt das Wasser, Simone macht ihren Job am Ruder noch ganz gut, doch es ist ihr anzumerken, dass sie sich sehr konzentrieren muss. „Aufräumen!“, lautet mein nächstes Kommando. Dabei stelle ich mich neben Simone, bereit, am zweiten Rad jederzeit eingreifen zu können. Wie praktisch, eine Doppelruderanlage zu haben.
1100 – Nachdem alle sich im Cockpit versammelt haben, führe ich eine Feedbackrunde durch. Jeder muss beschreiben, was er getan hat und was er von seiner Position aus wahrnehmen konnte. Dabei gehen wir das Manöver step by step durch.
Ich habe nebenbei die Umgebung und meine Steuerfrau im Auge. Steuerbord voraus ist die „Lucky Spirit“, die schnellste Yacht der Schule. Christian hängt uns problemlos ab. Ich akzeptiere, dass er deutlich vor uns in Den Oever sein wird. Im Anschluss an die Feedbackrunde lasse ich Simone am Ruder ablösen. Sie hat heute zum ersten Mal eine 12-Meter-Yacht gesteuert und sich dafür gut gehalten.
Nun hole ich mir einen Kaffee und einen Schokoriegel. Dann setze, ich mich ins Cockpit lächle Gisbert an und frage ihn: „Wo sind wir eigentlich und wie kommen wir denn nun nach Den Oever? Passt unser Kurs überhaupt noch und wann sind wir voraussichtlich da?“ Mir ist bewusst, dass unser Kurs eher auf den Breezand im Abschlussdeich zielt. Doch bis dahin ist noch mindestens eine Stunde Zeit. Gisbert sieht mich überrascht an. Also erkläre ich die Aufgabenstellung neu. „Position in der Karte eintragen, Kurs auf die Tonnen WV 11 und 12 absetzen und ETA, das ist die estimated time of arrival, die voraussichtliche Ankunftszeit, bestimmen.“ Ich lehne mich zurück und tue so, als würde das interessanteste der Welt unser Kielwasser sein. Meine Sinne jedoch sind maximal scharf gestellt. Ich habe den Rudergänger im Auge. Christian schlägt sich sehr gut. Simone genießt das schöne Wetter, denn inzwischen haben wir 26°C und einen blauen Himmel mit Schäfchenwolken. Heidemarie schaut irritiert und Gisbert geht langsam an die Karte. Wir sind in ausreichendem Abstand zu den immer mehr auftauchenden anderen Booten. Auf dem Ijsselmeer ist man eben nie allein.
Demonstrativ trinke ich meinen Kaffee aus und sage laut: „Ich hole mir noch einen Kaffee. Will noch jemand einen Riegel oder eine Banane?“ Dabei gehe ich zum Niedergang. Ich sehe Gisbert an der Karte stehen. Er wirkt ratlos. Ich mag ihm aber noch nicht alles vormachen. Mir ist wichtig, dass sich meine Schüler möglichst viel Wissen selbst erarbeiten. Dabei bleibt mehr hängen und das hebt das Selbstbewusstsein. Also starte ich einen anderen Versuch. Ich lasse Christian von Heidemarie am Ruder ablösen und frage ihn: „Traust du dir zu, den Kurs und die ETA zu bestimmen?“ Er nickt. Also übernimmt Heidemarie das Ruder und Christian gesellt sich zu Gisbert.
1130 – Heidemarie überrascht mich total; sie hat ein geniales Gefühl für das Ruder. Schon nach zehn Minuten lasse ich sie allein und gehe unbesorgt nach unten zu meinen zwei Navigatoren. Die beiden haben inzwischen einen Ort und einen Kurs in der Karte eingetragen. Ihnen ist jedoch entgangen, dass wir nicht auf ihrer gewünschten Kurslinie, sondern immer noch am Wind mit einem Kurs von 335° auf den Abschlussdeich zufahren. „Und nun, welche Konsequenzen hat diese Erkenntnis?“ Es dauert eine Weile, bis ihnen auffällt, dass wir immer noch den Kurs vom Setzen der Segel fahren und damit klar wird, dass wir den Kurs ändern müssen.
„HEIDEMARIE, NEUER KURS 230°“, rufe ich ihr zu und gehe dabei an Deck, um die Einstellung der Segel vorzunehmen. Langsam fallen wir ab, der Wind kommt immer mehr von achtern, bis aus dem rauschenden Am-Wind-Kurs ein sehr gemütlicher Raumschotkurs geworden ist. Heidemarie hat die Kursänderung gefahren wie ein alter Steuermann. Ich bin stark beeindruckt. „Und du hast wirklich noch nie gesteuert?“, frage ich sie. „Nö, ist das erste Mal“, lautet ihre Antwort.
1145 – Leider erreichen wir auf dem neuen Kurs nur noch 2,5 Knoten über Grund, der Wind hat auch deutlich abgenommen. So wären wir zu spät an der Schleuse, um mit günstigem Strom nach Texel zu fahren. Dennoch lasse ich meine beiden Jungs erst noch die ETA berechnen. Sie kommen schnell auf das Ergebnis. „Wir sind zu spät da“, informieren sie mich. Für die Konsequenz reicht ihre Entschlusskraft aber noch nicht aus. „Es hilft nichts, Segel runter, Motor an!“, treffe ich die „böse“ Entscheidung. Gemeinsam mit Simone rolle ich die Genua weg. Dann teile ich meine Schäfchen neu ein. Gisbert geht an den Mast, Simone an die Großschot und Christian an das Großfall. „Lass fallen Groß!“, kommt deutlich hörbar mein Kommando. Kaum ist das Segel im Lazybag, weise ich Heidemarie an: „230°, 7 Knoten Fahrt.“
1330 – Wir hatten echt Glück. Kaum waren wir an der Schleuse, kamen wir auch direkt rein und konnten durchschleusen. „Willkommen im Wattenmeer“, gratuliere ich meiner Crew. Wir sind inzwischen etwas spät dran. Dennoch können wir hier draußen wieder segeln. Auch wenn die 2 bis 3 Windstärken uns nur 3 Knoten Fahrt durch das Wasser gönnen, schaffen wir aufgrund des Gezeitenstromes 5,8 Knoten über Grund.
Inzwischen steht Gisbert am Ruder. Er hat einen schweren Job. Steuern im Strom ist keine leichte Aufgabe. Doch nach einer Stunde hat er sich gut eingesteuert. Ich kalkuliere währenddessen unsere Strecke voraus. Mir ist es wichtig, dass wir noch ein wenig segeln und nicht schon wieder „dieseln“. Aufgrund der Tidenverhältnisse können wir es uns trotz des 1,86m Tiefgangs leisten, an der Tonne M12 zu schnippeln. Wenn wir in einer Stunde dort sind, haben wir zur Kartentiefe von 1,4m noch 1,6m Höhe der Gezeit. Das bedeutet, dass das Wasser in Wirklichkeit noch 3,0m tief ist. Ich erkläre Christian, wie ich das berechnet habe, zum einen nach den Gezeitentafeln und zum anderen nach der Zwölferregel.
1520 – Über Den Helder im Westen bauen sich Gewitterwolken auf. Wir bergen nun doch die Segel und fahren unter Maschine nach Oudeschild. Sicher ist sicher. Eine Stunde später laufen wir in Oudeschild ein. Christian ruft uns auf dem Funkgerät. Wir sollen uns beeilen, der Hafen ist gerammelt voll. Also drücken wir auf die Tube und dürfen als letztes Boot noch nach ganz hinten in den Hafen einlaufen.
1630 – Das Anlegemanöver wird ein wenig kitzlig, immerhin sieht es so aus. Mir macht es Spaß, die „Hürriyet“ auf der Stelle zu drehen und behutsam an der „Lucky“ anzulegen. Die „Lucky-Jungs“ schauen aufmerksam dem Manöver zu. Ich bin stolz auf meine Millimeterarbeit. Als wir fest sind, reicht unser Landstromkabel nicht an den Steg. Wir sind das fünfte Boot. Später bekommen wir noch einen Außenlieger. Damit haben wir dann ein Sechserpäckchen gebaut. Ich kühle mich erst einmal mit einem Sprung in den Hafen ab. Die Heckdusche der „Hürriyet“ übernimmt die Grobreinigung, bevor ich zur Duschanlage gehe.
1800 – Die Gewitterwolken rücken ganz langsam näher. Wir beginnen also das Päckchen ordentlich zu verzurren und bereiten unser Abendessen. Heidemarie hat eine leckere Nudelpfanne gezaubert. Den Abend verbringen wir anfangs noch im Cockpit mit Wein und Gesang. Als der Regen einsetzt, verziehen wir uns unter Deck. Die Luft kühlt sich angenehm ab und wir freuen uns auf eine erholsame Nacht.
Ich suche mir nach dem Gewitter noch eine ruhige Ecke im Hafen. Endlich kann ich mal länger mit Martina telefonieren. Die Roominggebühren sind mir egal, sie fehlt mir. Eine Stunde später kehre ich an Bord zurück, nehme mein Buch und freue mich, noch eine halbe Stunde zu lesen, bevor wir schlafen.
Doch kaum sind wir in den Schlafsäcken, schnattern Simone und ich noch eine ganz Weile über den heutigen Tag. Wir meinen, dass wir leise sind und denken nicht daran, dass Christian in der Nachbarkabine jedes Wort durch die dünne Sperrholzwand hören kann. Ob er rot geworden ist?
Meilenkonto: 22,5 sm, davon 11,6 sm gesegelt.
Sonntag, 20. Juli 2014 – Oudeschild/ Texel
Wetterprognose des KNMI (Königlich-Niederländisches Meteorologisches Institut) vom 20.07.2014, 03:44 UTC (Universal Time Coordinated) = 05:44 Ortszeit
- 0800 bis 2000: Wind 1 bis 3 umlaufend
- 2000 bis 0800: Wind bei Texel NW 3-4, Böen bis 35kn (Windstärke 8), Gewitter, Hagelrisiko Morgen auffrischend 5 bis 6 Windstärken, in Böen 8
- Tiden:
- Harlingen: Hochwasser: 0357 und 1624; Niedrigwasser: 1116 und 2356
- Vlieland: Hochwasser: 0325 und 1551; Niedrigwasser: 0937 und 2210
- Oudeschild: Hochwasser: 0230 und 1505; Niedrigwasser: 0835 und 2126
0130 – Das Gewitter ist da. Sturmböen zerren an den Festmacherleinen und unser Boot bewegt sich merklich. Ich stehe kurz auf, mache einen Rundblick und gehe dann wieder in die Koje. Simone dreht sich kurz um als ich wieder unter meinen Schlafsack rutsche und schläft auch gleich wieder ein. Da wir nicht vor 1000 auslaufen werden, stelle ich meinen Wecker neu und lege mich wieder hin.
0700 – Eine Stunde länger schlafen, das hat heute richtig gut getan. „Ist ja auch Sonntag“, sage ich grinsend zu Simone. „Haha, wenn die Tide anders stünde, wären wir sicher auch früher aufgestanden“, kontert sie. „Niemals!“, versuche ich mich rauszureden, doch sie hat die Situation hundertprozentig erkannt. Zeitgleich mit uns kommt Christian aus seiner Kabine. Er hat schon seine Laufkleidung an und verschwindet erst einmal zum Joggen.
Heidemarie ist bald emsig in der Kombüse beschäftigt. Ich stehe an Deck, meine Teetasse in der Hand und sehe mir den Himmel an. Die Wolkenfront im Nordwesten macht mich nervös. Ich beschließe, mir die weitere Entwicklung anzusehen. Ich mag jetzt noch keine Entscheidung treffen. „Wait and see“, murmele ich. „Hä? Was hast du gesagt?“, meint Chris hinter mir auf der „Lucky Spirit“. Auch er steht an Deck. Ich hatte ihn gar nicht wahrgenommen. Mit dem Kopf deute ich auf die Wolkenwand. „Paragraph 1 der Seefahrt. Wait and see“, meine ich. „Lass uns das vor dem Auslaufen noch mal ansehen und darüber reden“, antwortet er. Ich stimme zu und gehe zum Frühstück.
Gegen 0830 wollen die Innenlieger raus. Wir legen kurz ab. Ich hänge mich mit der Mittelspring an die Außenseite einer Stegbox, während Chris sich mit der „Lucky“ unter Maschine auf der Warteposition hält. Kaum ist die auslaufende Motoryacht weg, lege ich wieder außen an der „Lucky“ an. Mit Christian gehe ich auf den Deich, höhere Stellen wird man hier selten finden, und wir sehen uns das Wolkenband in Ruhe an. Die Zugrichtung in der Höhe weicht vom Bodenwind ab. Die Wolken ziehen mehr nach Norden an uns vorbei. Das ist doch eine schöne Information. Dennoch verwerfen wir die Idee, nach Vlieland zu fahren, denn wenn es morgen wirklich starkwindig wird, kommen wir vor Vlieland nicht zum Üben.
Es bleibt nur die sinnvolle Entscheidung, heute wieder ins Ijsselmeer zu fahren. „Na dann, zurück zur grünen Wiese“, versuche ich mit Humor die Enttäuschung zu überspielen. „Kopf hoch, Mädel, verschoben ist nicht aufgehoben.“ Nickend stimme ich Christian zu. „Lass uns nach Makkum fahren, da war ich bisher nur in der Marina“, schlage ich vor. Chris greift die Idee sofort auf und weiß auch einen tollen Liegeplatz für uns. Also fahren wir heute nach Makkum.
1100 – An Bord informieren wir die Crews über unsere Entscheidung. Aus Zeitgründen versuchen wir gar nicht erst bis Kornwerderzand zu segeln. Wir sind am Ende des Zeitfensters, um nach Kornwerderzand zu fahren, und dürfen jetzt nicht durch Spielen wertvolle Zeit verlieren. In drei Stunden kippt der Strom. Wenn wir jetzt fix durch die Schleuse sind können, wir vor Makkum noch länger üben.
1130 – Im Kielwasser mit der „Lucky Spirit“ verlassen wir Oudeschild. Als meine „Navigatoren“ einen Bogen fahren, überholen uns Chris und seine Jungs in der Innenkurve. Nun fahren wir der „Lucky Spirit“ hinterher. Ich lasse unterwegs Kreuz- und Versegelungspeilungen üben. Unser GPS-Gerät und alle Redundanzsysteme sind natürlich „ausgefallen“. Also müssen meine Jungs „händisch“ navigieren. Das ist zwar anstrengend, aber ich weiß, wenn sie es jetzt nicht üben, werden sie sich später immer aus Bequemlichkeit darum drücken.
1405 – Wir sind an der Schleuse Kornwerderzand. Dutzende Boote liegen bereits wartend vor der Schleuse. Einige Yachten ankern bereits. „Was´n hier los?“, rutscht es mir raus. Ich nehme das Handy zur Hand und rufe Chris an. „Hast Du eine Ahnung, was hier vorgeht?“ Die Antwort kommt prompt: „Die haben einen technischen Defekt an der Brücke; lass uns irgendwo festmachen.“ Es ist prima, dass Chris nahezu fließend niederländisch spricht. Ich tue mich da noch schwer.
Vorsichtig manövriere ich das breite Heck meiner „Hürriyet“ zwischen zwei niederländische Yachten an den Steg. Chris hängt seine „Lucky“ wiederum mit dem Heck an unsere Backbordbugklampe. An Steuerbord hängt bald eine weitere Yacht. Es ist eine X-Yacht. Mein Herz hüpft vor Begeisterung – dänische Bootsbauerkunst! Meine Schüler erhalten einen kleinen Vortrag über die Qualität skandinavischen Bootsbaus. Wohl wissend, dass ich mit den Niederlanden in einem Land bin, wo es auch zahlreiche gute Yachtwerften gibt.
1500 – Wir haben Stauwasser, die Yachten in ihren losen Päckchen beginnen zu Vertreiben. Uns bleibt nur eine Lösung. Wir müssen uns anderswo hinlegen. Die Yachten, die an uns hängen, werden informiert. Kurz darauf laufen wir an den treibenden und schwoienden Yachten vorbei. Ganz vorn am Fischer können wir ordentlich im Päckchen festmachen. Wir liegen mit der „Hürriyet“ innen, dann folgt Chris mit der „Lucky“ und ganz außen hängt sich Jens mit seiner „Generation X“ dran. Somit liegen hier auch drei SF-Foristen zusammen.
Es beginnt eine Zeitvertreibsblödelei. Immerhin ist das Wetter herrlich. Wind 3 Windstärken aus West, sonnig mit 28°C. Ich ärgere mich über die vertane Übungszeit.
1620 – Endlich geht die Brücke auf. Jens wirft die Leinen los, ich nehme Chris im Päckchen als Schlepp mit durch die Brücke. Die „Hürriyet“ schafft problemlos beide Schiffe. Vor der Schleuse trennen wir den Schleppverband und legen an. Ich gehe fix unter Deck auf die Toilette. Währenddessen meint ein niederländischer Skipper, wir sollten uns noch einen oder zwei Meter vorwärts verholen. Als meine Crew nicht schnell genug reagiert, entert er unser Schiff und beginnt meiner Crew Anweisungen zu geben.
Ich merke nur, dass die „Hürriyet“ andere Bewegungen macht als erwartet. Schnell bin ich vom Klo runter und sichere meine Yacht. Die Treidelbewegungen lasse ich sofort stoppen! Das Boot wird viel zu schnell nach vorne gezogen. Dabei schleift das Heck die ganze Zeit am Beton entlang, weil an der Achterleine stärker als an der Vorleine gezogen wird und niemand auf die Fender achtet!
Ich will nach vorne einen Sicherheitsabstand von zwei Metern haben, da die Boote in der Schleuse immer ein wenig treiben. Die Beschädigung am Heckkorb, die beim Schleifen an der Betonwand der Schleuse entstand, lässt sich nun nicht mehr rückgängig machen. Ich bin sauer, richtig sauer!! Ich kann es nicht fassen, wie schnell sich vier Erwachsene Menschen von einem Hobbyskipper Anweisungen geben lassen. Während der Schleusung spreche ich kein Wort mehr als für die Manöver nötig sind.
1640 – Wir sind unterwegs nach Makkum. Ich werde heute nicht mehr üben. Mit der Crew steht erst einmal ein klärendes Gespräch an. Die Fahrtdauer nach Makkum nutzen wir für die Aussprache. Es ist mir jetzt sehr recht, dass die „Lucky“ vorausfährt. Ich folge Chris langsam und versuche mich an alles, was ich über Konfliktmanagement und gewaltfreie Kommunikation gelernt habe, zu erinnern. Der Crew mache ich klar, woher auf meinem Schiff die Anweisungen und Kommandos kommen. Der Skipper allein trägt die volle Verantwortung für alle Sach- und Personenschäden.
1730 – Wir sind fest in Makkum, liegen längsseits am Steg. An unserer Steuerbordseite ist die „Lucky Spirit“ ins Päckchen gegangen. Kaum dass wir fest sind, ziehe ich mich um und springe erst einmal ins Wasser. Ich will schwimmen, nicht nur planschen! Das hilft mir beim Stressabbau. Simone begleitet mich. Die Ärztin ist eine gute Schwimmerin. Sie hat Verständnis für mich. Auf dem Rückweg unterhalten wir uns, während wir gemächlich zurück zum Schiff schwimmen. Zum Reinigen nutzen wir die Heckdusche. Das Wasser und die Luft sind warm, bald hängen unsere Badeanzüge zum Trockenen an der Reling.
1930 – Das Abendessen war heute eine Wurst- und Käseplatte mit Rotwein. Auch sehr lecker. Zur Verdauung gehen wir noch in den Ort und schauen uns um. Wir finden einen kleinen Rummelplatz vor. An der Schießbude entsteht die Idee, für Gisbert eine Siegestrophäe zu schießen, die er nach erfolgreicher SKS-Prüfung erhalten soll. Da jedoch niemand wirklich schießen mag und kann, nehme ich das Luftgewehr und schieße ein kleines Plüsch-Seepferdchen. Eine abschließende Runde durch Makkum zeigt, wie schön das Örtchen ist.
Ich lasse mich auf dem Rückweg zurückfallen, um endlich Zeit zu finden, mit Martina zu telefonieren. Von unterwegs konnte ich heute nur ein paar kurze SMS schreiben. Das Gespräch ist wichtig. Ich komme selten dazu, ausführliche Mails zu schreiben. Mir sind die Momente allein sehr wichtig, um zu träumen oder ein Buch zu lesen. Genauso wichtig, wie die Gespräche mit Martina.
2230 – Wir krabbeln in die Kojen. Beim heutigen „Einschlafplausch“ beziehen Simone und ich Christian einfach mit ein. So wird es ein „Achterschiffplausch“ durch die Kabinenwand. Kichernd schlafen wir irgendwann ein.
Meilenkonto: 40,7 sm, davon 11,6 sm gesegelt.
Montag, 21. Juli 2014 – Makkum
Wetterprognose des KNMI (Königlich-Niederländisches Meteorologisches Institut) vom 21.07.2014, 06:05 UTC (Universal Time Coordinated) = 08:05 Ortszeit
- 0800 bis 2000: Wind N bis NW 3 bis 4, in Böen 5 bis 6, teilweise Gewitter
- 2000 bis 0800: Wind N bis NW 4 bis 5, abflauend und auf N bis NE drehend
0645 – Endlich ist es milder, nur 21°C, und der Himmel ist bedeckt. Die Hitze der letzten Tage hat mich geschafft! Die Wetteraussichten für die kommenden Tage versprechen einen Rückgang der Temperaturen und etwas mehr Wind zum Üben. Ich bespreche mich mit Chris. Meine Idee, heute nach Medemblik zu fahren und dadurch mit achterlichen Winden arbeiten zu können, findet seine Zustimmung. So ist es abgemacht, heute ist Medemblik das Ziel. Morgen sehen wir weiter. Wir werden auf dem Weg immer wieder Manövertrainings einlegen und uns gegen 1800 im Pekelharinghaven treffen.
0900 – Im Ölzeug stehen wir im leichten Regen an Deck. Die Segel bleiben noch eingepackt. Jetzt werden erst An- und Ablegemanöver geübt. Grundregel eins: „Niemals das Steuerrad loslassen. Besonders nicht in Rückwärtsfahrt!“ Grundregel zwei: „Immer schön langsam. Verry smoth, bitte!“ Wieder lasse ich die Manöver nur zu zweit üben, besonders, da Gisbert und Heidemarie später auch zu zweit klarkommen müssen. Nachdem die Manöver zu zweit klappen, muss jeder Trainee die Manöver auch alleine fahren.
Simone hat sich genüsslich unter die Sprayhood verzogen und genießt ihren Sonderstatus als Schnupperseglerin sichtlich. Warum auch nicht. Sie will weder eine Prüfung fahren, noch mehr Praxis erwerben. Für sie ist es ein Aktiv-Mitsegel-Urlaubstörn, keine Ausbildungs- oder Trainingsreise.
1100 – Wir setzen den Kurs auf das Ijsselmeer. Zwei Stunden lang Hafenmanöver zu üben reichen mir. Für mich bedeutet dies, zwei Stunden lang einen Sack Flöhe zu hüten, immer eine Hand am Ruder und 110% Konzentration! Ich nehme mir einen Tee und entspanne, während Extraklasse-Steuerfrau Heidemarie uns im Regen zuverlässig hinausfährt. Gisbert benötigt nun eine Pause, Christian genießt die Aussicht und Simone findet es langsam an Deck schöner als unter der Sprayhood, vor allem, da der Regen inzwischen aufgehört hat.
1120 – Wir sind westlich des Fahrwassers von Kornwerderzand nach Süden. Plötzlich stürzt „Otto“ über Bord. „Boje über Bord an Steuerbord!“, ertönt der Ruf von Christian. Heidemarie schaut ihn verdutzt an. Die Arme hatte gar nicht mitbekommen, wie ich zwei Fender als Übungsboje vorbereitet hatte. Nun reagiert sie: die Maschine auskuppeln, das Ruder nach Steuerbord legen und damit das Heck wegdrehen, einen Ausguck einteilen, ein Blick zum Verklicker zeigt die Windrichtung (NNE). Nun beginnt der Anlauf zum Rettungsmanöver! Heidemarie fährt mit dem Wind vier Schiffslängen ab, dreht über Backbord, ihrer Lieblingsseite, und fährt die Boje genau gegen den Wind an. Sie schickt ihren Mann zur Aufnahme der Boje auf die Steuerbordseite, stoppt neben der Boje und hat „Otto“ nach 4 Minuten wieder an Deck. „Gut gemacht!“, mehr habe ich nicht dazu zu sagen. „Der Nächste ans Ruder, das Ganze noch mal von vorn!“ Jeder fährt nun zwei ordentliche Rettungsmanöver, bis auf Gisbert. Als Prüfling darf er selbstverständlich vier Übungsmanöver fahren.
1220 – Ein kurzer Rundumblick, ein Blick zum Verklicker und schon grinse ich Gisbert an. „Welcher Kurs liegt an?“ Gisberts Zögern zeigt mir, dass er nicht ganz bei der Sache ist. „225°“, lautet die Antwort später. „Fein, mach ein Segelboot aus der Hürriyet“, lade ich ihn ein und stelle mich neben ihn. Während sich alle an Bord vorbereiten, den nun folgenden Anweisungen nachzukommen, ist bei Gisbert die Konzentration bis in die Haarspitzen förmlich zu fühlen. Es ist für einen Anfänger immer eine extrem fordernde Aufgabe, dieses Manöver zu leiten. Er muss die Yacht mit der Nase im Wind halten, der kommt aktuell ziemlich genau von hinten, dabei die Crew einteilen, alles im Auge haben und die richtigen Kommandos zum richtigen Zeitpunkt geben.
Ein weiteres, kommunikatives Problem ist für viele Anfänger, auch echte Kommandos zu geben. Ja, es gibt eine echte Kommandosprache! Die meisten bedienen sich des unverbindlichen Plaudertones aus der Kaffeelounge. Doch an Bord eines Schiffes wird im Manöver nicht geplaudert. Es muss den Einen geben, der das Manöver leitet und kommandiert.
Und dies alles zusammen setzt nun unseren lieben Gisbert unter Stress. Bei allem Verständnis, ich darf jetzt keine Nachsicht zeigen. Er muss da durch, denn in vier Tagen muss er dieses Können und Wissen in einer Prüfung nachweisen!
1240 – Mit etwas Soufflieren haben wir die Segel gesetzt und sind nun mit einem sicheren Raumschotkurs auf 260° unterwegs. Diesen Kurs werden wir nicht lange fahren können, denn in ungefähr 7sm ist das Ijsselmeer zu Ende. Demzufolge müssen wir dann halsen. Ok, es ist noch eine gute Stunde bis dahin. Ich übernehme für dreißig Minuten das Ruder, somit hat meine Crew Zeit, etwas zu essen. Ich kann es nun genießen, die Yacht auf diesem Kurs auf maximale Geschwindigkeit zu bringen. Teilweise gelingen mir sogar einige, ganz kurze Surfs.
1340 –Christian hat vor zehn Minuten das Ruder an Gisbert übergeben, das Ufer ist deutlich vor dem Schiff zu erkennen. Ich versuche abzuwarten, bis mein Steuermann von allein reagiert, doch nach 10 Minuten halte ich es nicht mehr aus. „Fahr eine Halse und dann Kurs 160°“, weise ich an. Wenn ich richtig gerechnet habe, müssten wir danach auf einem Halbwindkurs herauskommen. Wieder stehen Gisbert Schweißperlen auf der Stirn. Christian, unser Leistungssportler, schnappt sich die Großschot. Die beiden Frauen nehmen sich die Genuaschoten, legen sich die Winschkurbeln bereit, und ich beiße mir auf die Zunge. Ich muss dem Trainee die notwenige Zeit geben, solange ich es verantworten kann.
Es wird eine schöne Halse, ein großer Dank gebührt dabei Christian, der sich tüchtig an der Großschot müht. Ich lasse uns ein wenig vom Ufer ablaufen, dabei erkläre ich meinen Trainingsplan. „Wir werden hier jetzt die Küste herunter üben: vom Halbwindkurs auf Raumschotkurs gehen, dann eine Halse, kurz den Raumschotkurs fahren, anschließend eine Q-Wende, dann wieder auf 160° gehen, Abstand zum Ufer herausfahren und mit neuem Steuermann das Ganze von vorn. Die Mädels bleiben an den Vorschoten, an der Großschot werden die Jungs mit mir im Wechsel arbeiten.“
Ein wenig mehr Begeisterung habe ich mir schon erhofft. Erstens sind wir zum Üben hier, zweitens macht die Arbeit warm, drittens, ist Arbeit das beste Mittel gegen die Seekrankheit. Außerdem kann ich mich endlich einmal auspowern. Immerhin haben wir mit jedem Steuermann zwei komplette Übungen gefahren, Gisbert stand viermal am Rad… – wegen der Prüfung. Sogar Simone hat sich am Rad versucht, das hat mich richtig gefreut.
1740 – Wir sind kurz vor der Hafeneinfahrt von Medemblik. 25 sm sind seit dem Auslaufen in unserem Kielwasser geblieben. „Christian, übernimm das Ruder und mach ein Motorboot draus“, weise ich in lockerer Art an. Dabei stelle ich mich an der Genuareffleine bereit. Bei Christian kommen die Kommandos klar und deutlich, es gibt wenig Optimierungsbedarf. Man merkt seine Vorerfahrungen sehr deutlich.
Zwanzig Minuten später legt Christian im Pekelharinghaven längsseits nahe der Duschen an. Ich gebe ihm noch den Auftrag, das Boot komplett festzumachen und sich um den Landstrom zu kümmern. Dann stelle ich mich an den Mast und beobachte, wie er sich die Crew einteilt und der Aufgabe annimmt. Als alle fertig sind, schlage ich vor, noch nach Medemblik in den Ort zu gehen. Dort gibt es auch sehr schöne Lokale.
Irgendwie gelingt es mir nicht, meine Crew zu motivieren, mir zu folgen. So besorge ich mir ein paar neue Segelhandschuhe und lade mich dann auf der „Lucky“ auf ein Amstel ein. Dabei tauschen wir unsere Ideen für die kommenden Tage aus. Ich habe große Lust, mal wieder nach Urk zu segeln und überrede Chris dazu, mitzukommen. Eigentlich wollte er nach Enkhuizen. Doch mir gelingt es, ihm Urk schmackhaft zu machen.
1900 – Heidemarie verwöhnt uns mit ihren Kochkünsten. Sie hat das voll drauf. Wir lassen uns die Nudeln mit Hackfleischsoße schmecken. Beim Wein reflektieren wir noch einmal die heutigen Segelmanöver und ein paar Ausweichregeln. Nebenbei flicke ich unsere Nationalflagge, die heute im Wind ziemlich gelitten hat.
Um mit meiner Liebsten zu telefonieren, bin ich zu müde. So verschiebe ich diesen Anruf auf morgen früh.
Meilenkonto: 68,3 sm, davon 28,6 sm gesegelt.
Dienstag, 22. Juli 2014 – Medemblik
Wetterprognose des KNMI (Königlich-Niederländisches Meteorologisches Institut) vom 22.07.2014, 03:19 UTC (Universal Time Coordinated) = 06:19 Ortszeit
- 0800 bis 2000: Wind NE 4 bis 5, Sicht gut
- 2000 bis 0800: Wind NE 4 bis 5, abnehmend 3 bis 4
0600 – Wind WSW 3, Himmel bedeckt, Luft 20°. Ich finde die Wettersituation im Hafen passt ganz und gar nicht zur Prognose. Das KNMI ist doch aber ein echter Topwetterdienst!? Also beschließe ich, nach der Dusche vor zum Deich zu gehen und einen Blick auf die See zu werfen. So stehe ich vierzig Minuten später auf dem Deich und stelle fest, dass das KNMI richtig liegt und die vielen Häuser um den Pekelharinghaven den Wind so deutlich ablenken. Den Rückweg nutze ich für den Anruf daheim.
0930 – Heidemarie legt ab und fährt aus dem Hafen. Dort erwarten uns 4 Windstärken aus NE, wie angekündigt. Direkt vor dem Hafen stelle ich ihr die Aufgabe, die Segel setzen zu lassen und auf Kurs 120° zu gehen. Das ist eine echte Komplexaufgabe! Heidemarie denkt kurz nach und dann zeigt das kleine Energiebündel, was in ihr steckt. Es kommen klare und deutliche Kommandos, die Segel werden korrekt gesetzt, und sie fällt nach nur 15 Minuten auf einen schönen tiefen Amwindkurs ab. Ich bin begeistert!
Die „Hürriyet“ saust mit 7,4kn ab. Das macht richtig Spaß… bis die „Lucky“ an uns vorbeizieht als würden wir parken! Ja, ich weiß, die „Lucky“ ist ein echter Renner, aber es so deutlich vorgeführt zu bekommen, frustriert gewaltig.
1320 – 52° 39,6`N 005° 31,4`E – Wir haben inzwischen 19,4 sm zurückgelegt. Alle dreißig Minuten haben die Jungs und Heidemarie sich am Ruder abgelöst. Ich habe immer wieder einen Manöverkreis eingebaut. Simone bekommt der Wellengang nicht so gut und auch Heidemarie findet es heute anstrengend. Der Wind hat inzwischen auf deutliche 5 Windstärken zugenommen, er kommt immer noch konstant aus NE. Ich erkläre Gisbert, dass wir jetzt das Großsegel ins erste Reff nehmen werden. Step by step arbeiten wir das Manöver gemeinsam durch. Nach zehn Minuten haben wir die Segelfläche verringert, Heidemarie löst ihren Mann am Ruder ab.
Eine halbe Stunde später haben wir das geplante „Übungsgebiet“ vor Urk erreicht. Die „Luckys“ üben bereits Rettungsmanöver unter Segeln. Ich übernehme das Ruder von Christian und fahre das Manöver zweimal vor. Anschließend übergebe ich das Steuer an Gisbert und stelle mich am zweiten Steuer bereit, klar, jederzeit einzugreifen. Wir üben pro Steuermann vier Anläufe, dann ist leider die Puste schon wieder raus. Alles gute Zureden von mir hilft nix, mein Prüfling mag jetzt Feierabend machen. Ok, Kurs zum Hafen!
1530 – Wir haben die Segel direkt vor dem Hafen geborgen. Der Hafen ist brechend voll. An einer großen und teuren Motoryacht finde ich noch einen Platz im Päckchen. Der Skipper ist begeistert von meinem wirklich sanften Anlegemanöver. Als er erkennt, dass er es mit einer Ausbildungsyacht zu tun hat, lädt er mich auf einen Kaffee ein. Ich gehe jedoch lieber mit meiner Crew ein Eis essen.
Der Spaziergang in Urk tut uns allen gut. Heidemarie und Gisbert verziehen sich auf einen Spaziergang zu zweit. Zu dritt tingeln wir durch die romantischen Straßen Urks, entdecken die zweite Werftanlage und sehen die „Lucky“ einlaufen. Ich bitte Simone und Christian, ein paar Einkäufe für die Pantry zu erledigen und gehe zurück an Bord. Ich habe eine Idee. Während ich mit meinem zweiten Eis im Cockpit sitze, besucht mich Chris. Die „Lucky“ liegt hinter unserem Heck, ebenfalls im Päckchen. So können wir uns gegenseitig in die Cockpits sehen.
Chris berichtet mir, dass er mit seinen Jungs heute Nacht nach Stavoren fahren will, morgen Mittag nach Hindeloopen und Donnerstag wieder nach Stavoren. Ich erkläre ihm mein Problem. Mein Prüfling ist schnell erschöpft und nur schwer zum Training zu motivieren. Er verschleißt seine Bordkameraden, und ich sehe die Stimmung an Bord kippen. Gerne würde ich ihn einen Tag mit den hochmotivierten „Lucky-Boys“ trainieren lassen. Eventuell holt ihn das aus seiner Lethargie.
Chris geht auf meinen Vorschlag ein. Wir vereinbaren, uns am Donnerstag auf See zu treffen. Den Crewtausch werden wir auf See vornehmen. Nachdem Gisbert dann einen Tag auf der „Lucky“ geübt hat und das Schiff als auch die Jungs kennt, kann er dann am Freitag an Bord der „Lucky Spirit“ ebenfalls seine Prüfung fahren. So muss die „Hürriyet“ nicht wegen eines Prüflings am Freitag extra rausfahren. Ich werde im Austausch den einzigen Nichtprüfling von Chris übernehmen und mit meiner Crew dann ankern üben.
1700 – Simone und Christian kehren schwer bepackt zurück. Gemeinsam mit Chris tragen wir die Taschen und eine große Hand Bananen an Bord. Im Anschluss beginnen wir mit den Vorbereitungen fürs Abendessen. Chris verabschiedet sich, er geht noch kurz in die Koje. Während auf der „Lucky Spirit“ ein wenig vorgeschlafen wird, spielen wir noch lange Kniffel in der lauen Abendluft. Leider hat Gisbert mein Angebot, die Manöver noch einmal durchzusprechen, nicht angenommen.
2200 – Wir sehen noch zu, wie die „Luckys“ zur Nachtfahrt auslaufen und gehen dann schlafen. Ich schicke Martina heute eine ausführliche Mail, in der ich ihr meine Gedanken und Sorgen mitteile. Ich haue in die Tasten bis der Rechner glüht. Erst gegen Mitternacht schlüpfe ich in meinen Schlafsack.
Meilenkonto: 95,7 sm, davon 53,4 sm gesegelt.
Mittwoch, 23. Juli 2014 – Urk
Wetterprognose des KNMI (Königlich-Niederländisches Meteorologisches Institut) vom 23.07.2014, 02:42 UTC (Universal Time Coordinated) = 04:42 Ortszeit
- 0800 bis 2000: Wind NE 3 bis 4, zunehmend 4 bis 5
- 2000 bis 0800: Wind NE 4 bis 5
0700 – Wind SE 2, Himmel leicht bewölkt, Luft 23°, schwül. Langsam wandere ich allein durch den verschlafenen Ort. Die Ruhe tut mir gut. Ich entspanne mich und überlege mir das heutige Konzept. Lange suche ich nach Alternativen, wie ich Gisbert helfen kann, die Manöverabläufe zu verinnerlichen. Ich entscheide mich, direkt nach Stavoren zu segeln und dann dort vor dem Hafen, Manöver zu üben. Auf dem Rückweg kaufe ich Brötchen und setze an Bord das Kaffeewasser auf.
0930 – Ich bringe uns aus dem Hafen hinaus. Vor dem Hafen übergebe ich Gisbert das Ruder mit dem Auftrag, die Segel setzen zu lassen und Kurs aufzunehmen. Mit viel Hilfe durch seine Bordkameraden gelingt dies auch. Wir segeln gemütlich bei 4 Windstärken aus NE den Nordostpolder entlang. Mit etwas westlicherem Kurs können wir so dem Vrouwezand in ausreichendem Abstand ausweichen. Es ist ein herrlicher Tourensegeltag, lange sitze ich mit Christian auf der Kante und unterhalte mich mit ihm über Segeltrimm oder die Vor- und Nachteile verschiedener Yachtmodelle. Simones Magen kommt mit diesem Kurs gut zurecht, gestern hatten sie und Heidemarie ein wenig mit Übelkeit zu kämpfen.
1304 – Wir sind fest im alten Hafen von Stavoren. Am Hafen- und Bahnhofskiosk genießen wir Kibbeling mit Salat und Pommes, dazu einen Kaffee. Frisch gestärkt laufen wir eine Stunde später aus, um Segelmanöver zu trainieren. Die Mädels geben alles an den Vorschoten. Ich wechsle mich mit Christian an der Großschot und beim Aufnehmen der Boje ab. Leider müssen wir bereits nach drei Durchläufen abbrechen. Gisbert ist erschöpft… Ich könnte heulen! So schöner Segelwind!
1520 – Im Schleusenvorhafen üben wir noch einige An- und Ablegemanöver, doch bereits nach vier Versuchen fahren wir in unsere Stammbox. Ich gewinne der Situation das Beste ab. Gemütlich dusche ich und mache mich hübsch. Wir Mädels schmeißen uns in Schale, und die Jungs geben auch ihr Bestes. Ich habe mein schönes Sommerkleid also doch nicht umsonst mitgenommen. Ausgelassen machen wir uns auf den Weg ins „Cafe Max“. Hier verbringen wir gemeinsam mit der Crew von der „PIM“ einen sehr schönen Abend. Ich tausche mit Franz die Erlebnisse der letzten Tage aus. Dabei ergibt sich, dass wir zwar gemeinsam in Urk waren, uns aber nicht gesehen haben. Wir konnten sogar ein wenig tanzen. Beim Dartspiel fordern wir ein paar Jungs der „PIM“ heraus. Schön, dass es ein ausgeglichenes Spiel war. Ich glaube, so gegen 2330 haben wir das letzte Licht an Bord gelöscht.
Meilenkonto: 122,8 sm, davon 77,6 sm gesegelt.
Donnerstag, 24. Juli 2014 – Stavoren
Wetterprognose des KNMI (Königlich-Niederländisches Meteorologisches Institut) vom 24.07.2014, 03:22 UTC (Universal Time Coordinated) = 05:22 Ortszeit
- 0800 bis 2000: Wind E bis NE 4 bis 5, abflauend 3 bis 4
- 2000 bis 0800: Wind NE bis E 3
0600 – Wind E 3, in Böen 5, Luft 20°C, blauer Himmel. Die Morgenroutine läuft heute etwas gemütlicher ab, gleichzeitig liegt aber auch Nervosität in der Luft. Gisbert packt seinen Rucksack für den heutigen Ausflug auf die „Lucky Spirit“ und Heidemarie umsorgt ihren Mann sehr fürsorglich.
0900 – Christian fährt aus dem Hafen. Das Ablegemanöver fahren wir zwei wieder allein, nur dass dieses Mal er am Ruder steht. Ein toller Schritt. Vor dem Hafen lässt er selbstsicher die Segel setzen und legt den Kurs auf Hindeloopen. Ich bin beeindruckt und begeistert! Eine halbe Stunde später kommt uns die „Lucky“ entgegen. Wir bergen die Segel, nun gehen die beiden Yachten auf See kurz aneinander längsseits. Gisbert und Maximilian tauschen die Schiffe und schon geht jede Yacht ihre eigenen Wege.
Während die „Lucky“ zum Manövertraining unterwegs ist, fahren wir nach Hindeloopen und besichtigen in aller Ruhe den niedlichen Ort. Mit Maximilian stromere ich durch die Werftanlagen des ortsansässigen Yachthändlers. Er bekommt jetzt Privatunterricht in Sachen Seemannschaft und Schiffbau. Christian und die beiden Mädels haben sich in diverse Läden zurückgezogen und genießen im Hafenrestaurant noch Kaffee und Kuchen.
1115 – Wir verlassen Hindeloopen. Jetzt rollen wir nur die Genua aus und lassen uns von ihr bei 4 Windstärken aus E gemütlich nach Stavoren ziehen. Dort ankern wir und haben nun eine tolle Badeplattform. Ausgelassen toben wir eine Stunde, dann fahren wir in den alten Hafen von Stavoren. Christian zirkelt die „Hürriyet“ in eine kleine „Parklücke“ und ist sichtlich stolz auf seine Leistung. Das kann er auch sein.
1430 – Wir verlassen den Stadthafen ohne Simone und Heidemarie. Die beiden wollen ein wenig shoppen, wir werden uns in der Marina wiedersehen. An Bord lassen wir uns für den Bogen in die Marina viel Zeit. Maximilian freut sich, noch ein paar Privatlektionen von einem zweiten Skipper zu erhalten. Er ist wissbegierig und hat eine sehr schnelle Auffassungsgabe. Es ist eine Freude, mit diesen beiden Jungs die „Hürriyet“ zu segeln. Wir vertreiben uns zwei schöne Stunden mit Trainingsmanövern. Ich zeige ihnen ein paar Tricks, die es leichter machen, ein großes Boot auch mit kleiner Crew zu segeln. Wir reffen ein und wieder aus oder lassen uns im Beilieger treiben. Dabei sehen wir der „Lucky“ und der „PIM“ beim Drehen von Manöverkreisen zu.
Während wir zur Tankstelle fahren, winken wir unseren Mädels zu. Dort bunkern wir Diesel und fahren anschließend den letzten Anleger dieser Reise in unsere Stammbox. Meine Crew hat gestern noch beschlossen, morgen früh auszuschlafen, die Taschen zu packen und heute Abend noch einmal ausgiebig an Bord zu kniffeln. Morgen wollen wir dann alle Gisbert die Daumen drücken und schon die Yacht gemütlich ausräumen.
1730 – Die „Hürriyet“ liegt fest verzurrt in ihrer Box. Eine halbe Stunde später läuft die „Lucky Spirit“ ein. Wir sehen uns das Anlegemanöver an, und dann werden die Erlebnisse des Tages ausgetauscht. Gisbert hilft noch beim Aufräumen auf der „Lucky“ und freut sich darauf, sich auf der „Hürriyet“ ausstrecken zu dürfen. Wir sehen ihn heute nicht mehr. Nicht einmal zum Abendessen kommt er aus der Koje.
Meilenkonto „Hürriyetreise“: 137,4 sm, davon 90,9 sm gesegelt.
Am Abend spricht mich Maximilian noch einmal an. Die „Luckys“ wollen ihrem Skipper eine Flasche Bessengenever schenken und nach der Prüfung überreichen. Ich verspreche, dass ich mich darum kümmern werde, diese zu besorgen. Mit Heidemarie kläre ich ab, dass sie mich morgen zum „Coop“ fährt, dort werde ich den Likör besorgen.
1930 – Ich sitze beim Hafenmeister auf der Bank und telefoniere entspannt mit Martina. Schnell habe ich meinen persönlichen Gewinn am morgigen Tag und die heutigen Erlebnisse zur Sprache gebracht. Morgen kann ich ganz entspannt meine Sachen packen, und Franz wird mich sogar zum Bahnhof fahren. Auch Olaf, der die „Hürriyet“ übernimmt, hat sich dazu angeboten. Ich freue mich, zu Martina heimzukommen.
Eine Stunde später gehe ich an Bord. Wir kniffeln noch eine Weile, dann ist gegen 2300 das Licht aus.
Freitag, 25. Juli 2014 – Stavoren
Wetterprognose des KNMI (Königlich-Niederländisches Meteorologisches Institut) vom 25.07.2014, 03:46 UTC (Universal Time Coordinated) = 05:46 Ortszeit
- 0800 bis 2000: Wind 3, abflauend 1 bis 2 – am Nachmittag regnerisch
- 2000 bis 0800: Wind 2 umlaufend und auffrischend
0600 – Wind E 3, Luft 20°C, diesig. Gisberts Nervosität ist deutlich zu spüren. Wir sind zu viert bemüht, seine Nerven zu beruhigen. Der Tisch ist gedeckt, der Kaffee perfekt und sein Lieblingsmüsli hat ihm Heidemarie auch schon hingestellt. Ich nehme meinen Tee und verziehe mich ins Cockpit. Dort geht es mir besser.
Nach der letzten Backschaft kommen bereits die ersten Abschiede. Simone und ich halten uns lange in den Armen, bis sie ihrem Vater und ihrer Reisetasche folgt. Ich habe das Gefühl, eine gute Freundin ziehen zu lassen. Ob sie jedoch noch einmal segeln wird, mal sehen. Einen reinen Urlaubstörn schon, eine Ausbildungsreise sicher nicht noch einmal.
Christian wird bis nach der Prüfung bei uns bleiben. Er will inzwischen eine Runde joggen. Unterdessen geht Gisbert auf die „Lucky Spirit“, hier herrscht emsiges Treiben. Die Segel werden klar und schön gelegt, die Bootshaken, einer je Schiffsseite, liegen bereit. Anschließend verholt Chris sein Schiff an den Steg A. Dort wartet neben der „PIM“ noch eine weitere Prüfungsyacht. Ich dackel zu Fuß rüber. Gemeinsam klären wir die Prüfer auf, wieso ein Schiff fehlt. Sie sind darüber erfreut, da sie auf diese Weise Zeit sparen.
1045 – Die „Lucky“ läuft mit sechs Prüflingen an Bord zur Prüfung aus. Heidemarie und ich haben nun mindestens eine Stunde Zeit zum Einkaufen. Wir fahren los, sobald die „Lucky“ die Hafenmole passiert hat.
Ich kaufe zwei Flaschen Bessengenever. Eine davon werde ich in meiner Reisetasche schon noch unterbringen, die zweite ist für Chris. Heidemarie kauft schon Lebensmittel für zuhause und die Heimreise. Sie ist echt eine tolle Frau. Gemeinsam stehen wir anschließend wartend am Steg.
1150 – Die „Lucky“ läuft ein. Nach dem Anlegen erfolgt die Verkündung der Ergebnisse. Alle haben bestanden. Wir sind froh. Gisbert wollte gleich zu seiner Frau, doch die „Lucky Boys“ rufen ihren Bordkameraden zurück. „Aufräumen!“, schallt es aus fünf Kehlen. Chris und ich grinsen uns an, so muss das gehen.
Schnell stecke ich Maximilian die Flasche zu, dann will ich gehen. Doch am Steg ist kein Platz zum Durchkommen, alle Jungs von der „Lucky Spirit“ haben sich vor ihrem Skipper aufgebaut. Als die sechs Jungs ihm die Flasche überreichen, bin ich gerührt. Ich schaffe es gerade noch, die Tränen zurückzuhalten. Ich freue mich für Chris.
Für mich folgt ein kurzer Abschied von Heidemarie und Gisbert. Die beiden gehen zum Auto und ich fühle mich unwohl, wenn ich daran denke, dass Heidemarie ihrem Gisbert auf künftigen Reisen nun sehr viel Kraft entgegen setzen muss. Er glaubt felsenfest daran, aus eigener Kompetenz bestanden zu haben. Ich schicke ihnen alle segensreichen Wünsche hinterher: „Allzeit eine glückliche Heimkehr, Gisbert und Heidemarie.“
1300 – Nachdem ich Christian noch einmal umarmt habe, bin ich allein an Bord. Auch von Chris folgt bald der Abschied, er wird um 1400 mit der Fähre nach Enkhuizen fahren. Franz ist zum Frisör, ich bin also allein. Nun beginne ich meine Taschen zu packen und lasse die Woche Revue passieren.
Meine Sachen stehen bereit im Salon. Der letzte Tee dampft in der Pantry. Draußen prasseln die Regentropfen aufs Deck, als Olaf hereinschaut. „Was hältst Du von Pizza?“ „Sehr viel, ich habe Hunger.“ Wir düsen in seinem niedlichen Polo los. Am Ende werden es Pfannkuchen mit Kaffee.
Wir tauschen uns über die „Hürriyet“ aus, ich erzähle von der letzten Woche. Es ist wichtig, eine zweite Meinung zu hören. Olaf wird mich nachher zum Bahnhof fahren, so muss ich nicht mit Sack und Pack durch den Regen stapfen.
1600 – Ich verabschiede mich von Olaf. Nun bin ich am Bahnhof, freue mich darauf, heim zu kommen. Die zwei Wochen waren zum Ende hin doch sehr anstrengend geworden. Ich wuchte meinen schweren Skipperbag in den Zug, setze mich in eine Vierersitzgruppe und schaue träumend aus dem Fenster.
In Leeuwarden erwische ich den IC nach Amsterdam. Bingo! Ich kann nun bis Utrecht in einem Stück durchfahren. Nur die Schulklasse im Zug ist anstrengend, die waren auf einem Plattbodenschiff im Wattenmeer unterwegs. Besonders der Zwerg, der mir die ganze Zeit erklären will, wie man segelt, nervt mich. Ich mag ihm aber nicht sagen, dass ich durchaus auch segeln kann. Ich will einfach nur meine Ruhe haben und meinen Gedanken nachhängen.
1730 – Mein Handy klingelt. Martina ist in Kiel angekommen. Sie übernimmt in Laboe eine Bavaria 32 cruiser für einen einwöchigen Skipperauftrag. Wir tauschen uns über organisatorische Dinge aus, denn ich komme in unsere Wohnung zurück, und sie bringt mich auf den aktuellen Stand der haushaltlichen Arbeiten. Leider bricht das Netz bald ab. Immerhin gibt der Steppke neben mir nun endlich Ruhe, und ich kann ein wenig dösen. In Utrecht werde ich noch ein wenig zu Abend essen, bevor ich in den Nachtzug steige. Auch etwas für das Frühstück will ich mir dort besorgen.
2100 – Ich stehe in Utrecht am Bahnhof, mein Schlafwagenzug nach München hat fünfzehn Minuten Verspätung. Das geht ja schon gut los. Als der Zug einfährt, gibt es eine kleine Diskussion mit dem Schaffner, doch das Missverständnis über die Kabinenbelegung können wir schnell klären. Ich bitte noch darum, vierzig Minuten vor München geweckt zu werden. Martina bekommt noch eine SMS, dann gehe ich zu meinem Abteil.
Meine zwei Zimmergenossinen sind bereits in den Kojen. Super! Ich räume ein paar Taschen um, damit haben wir nun alles Gepäck irgendwie verstaut. Es ist schon seltsam, dass gerade in Fernreisezügen so wenig Platz für Gepäck ist. Nicht einmal zehn Minuten später bin ich eingeschlafen.
Samstag, 26. Juli 2014 – in der Nähe von Stuttgart
0730 – Ich wache von alleine auf. Dass ich fast zehn Stunden durchgeschlafen habe, ist für mich unfassbar. Noch unfassbarer finde ich es, dass wir schon wieder über zwei Stunden Verspätung haben. Es ist also mehr als ausreichend Zeit für das Frühstück. Wir drei bauen aus den Kojen normale Sitzbänke, ziehen uns an und plaudern über die alltäglichen Dinge oder die Sorgen der Bahnreisenden.
0940 – München Hauptbahnhof. Das Geschiebe und Gedränge geht mir jetzt schon wieder auf die Nerven. Ich nehme mir ein Taxi und lasse mich heimfahren. Dort mache ich mir einen Tee, setze mich auf den Balkon und überlege, was ich mir für die kommende Woche zum Essen kaufen mag. Ich komme langsam zu Hause an…
Meilenkonto Fuchur-Reise: 180,2 sm, davon 95,9 sm gesegelt. Meilenkonto Hürriyet-Reise: 137,4 sm, davon 90,9 sm gesegelt.
Summe: 317,6 sm, davon 186,8 sm gesegelt.
Fotoalbum zur Reise auf Facebook www.segeln-mit-herz.de wir auf YouTube